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Afrikas Menschenrechtsgerichtshof vor dem Aus

30. Mai 2020

Die Zivilgesellschaft in ganz Afrika jubelte, als das Menschenrechtsgericht mit Sitz in Tansania Ende der neunziger Jahre gegründet wurde. Doch nun droht der Traum zu scheitern - viele Länder lassen es links liegen.

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Symbolbild Justiz Gericht Richterhammer
Bild: picture alliance/imageBROKER

Tansania, Benin, Elfenbeinküste: Binnen sechs Monaten haben drei Staaten Einzelpersonen und NGOs das Recht entzogen, sie vor dem Afrikanischen Gerichtshof für Menschen- und Völkerrechte (AGMR) zu verklagen. Damit bleiben gerade einmal sechs Länder übrig, wo das noch möglich ist.

Ein Gericht ohne Kläger

Dabei war der AGMR mit großen Hoffnungen gestartet. 1998 brachten dreißig Länder das Gericht auf den Weg. Sechs Jahre später nahm es seine Arbeit auf, seine Urteile sind für die Mitgliedsstaaten bindend. Aber heute hat das Gericht für viele Regierungen und die Afrikanische Union (AU) keine Priorität mehr.

"Einzelpersonen und NGOs sind aktuell die einzigen, die Fälle vor das afrikanische Gericht bringen", sagt der frühere stellvertretende AGMR-Vorsitzende Fatsah Ouguergouz. "Die Afrikanische Kommission für Menschen- und Völkerrechte hat vermutlich nicht mehr das Interesse, das Gericht anzurufen, und auch die Einzelstaaten sind nicht dazu bereit", so Ouguergouz zur DW. Mit anderen Worten: Dem Gericht werden schlicht die Fälle ausgehen.

Nicht durchsetzungsfähig

Doch nicht nur am Anfang, also vor jedem Prozessbeginn, hat das Gericht mit Einschränkungen zu kämpfen. Einige Staaten blockieren jeden Versuch, Gerichtsentscheidungen durchzusetzen. Zum Beispiel Benin: Dort hatte sich der Oppositionspolitiker Sébastien Ajavon an das Gericht gewandt. 2018 war er zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Ajavon beanstandete, dadurch von den Kommunalwahlen ausgeschlossen worden zu sein. Das Gericht ordnete an, die Abstimmung auszusetzen, solange der Fall geprüft würde. Trotzdem fand sie wie geplant am 17. Mai statt. Da hatte das Land seine freiwillige Erklärung bereits zurückgezogen. Ein weiteres Beispiel:  Am 28. April verhängte ein Gericht in der Elfenbeinküste eine 20-jährige Haftstrafe gegen Guillaume Soro wegen Korruption. Dabei hatte der AGMR  die Aussetzung des Haftbefehls gegen Soro angeordnet. In beiden Fällen beklagten sich die Regierungen über grobe Einmischungen, die das "Wohl der Nation" gefährdeten.

Präsident John Magufuli aus Tansania
Tansanias Regierung unter Präsident Magufuli, hier auf Besuch in Kenia, hat die Zusammenarbeit mit dem Gericht eingestelltBild: Reuters/T. Mukoya

Das Gericht versucht derzeit, über die Afrikanische Union verbindliche Standards festzuschreiben, um die Staaten zur Umsetzung ihrer Urteile zu verpflichten. Denn bisher fällt die Bilanz verheerend aus. AGMR-Geschäftsführer Robert Eno sagte der DW: "Viele der Staaten, gegen die das Gericht Urteile oder Anordnungen erlassen hat, haben sich nicht daran gehalten."

Kontrollmechanismus versagt

Welche Alternativen haben also afrikanische Bürger, wenn der Staat ihnen keine Chance gibt, ihre Interessen vor Gericht geltend zu machen? Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warnt, dass viele Regierungen nicht nur den AGMR boykottieren, sondern auch die lokalen Gerichte schwächen.

"Die Alternative ist, den Menschen zu sagen: Wendet euch an die Afrikanische Kommission für Menschen- und Völkerrechte, um das Gericht auf indirektem Weg anzurufen", sagt Fidèle Kikan von der Benin-Sektion der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Denn die kann Fälle an das Gericht weiterleiten. Doch das funktioniert in der Praxis schlecht: "Wir wissen, dass von den rund 300 Fällen, die vor dem Gericht behandelt worden sind, nur drei über die Kommission gekommen sind. Dieser Weg funktioniert also nicht besonders gut", so Kikan zur DW. Die Kommission, die zu den Institutionen der Afrikanischen Union gehört, könnte auch  Sanktionen gegen Staaten verhängen, die Gerichtsentscheidungen ignorieren. Doch von diesem Vorrecht hat sie bisher noch nie Gebrauch gemacht.

Und noch etwas wundert Menschenrechtler wie Fidèle Kikan: Die gleichen Staats- und Regierungschefs, die sich in Afrika gegen eine angebliche Bevormundung durch internationale Gerichte auflehnen, tun sich mit der afrikanischen Gerichtsbarkeit schwer. "Es ist schon verwunderlich, dass Staatschefs, die sich mit mehr oder weniger populistischen Auftritten als Panafrikanisten rühmen, gleichzeitig daran arbeiten, die regionalen Institutionen zu schwächen."

Niederlande Den Haag | Internationaler Strafgerichtshof
Gerichte wie der Internationale Strafgerichtshof gelten für manche afrikanische Regierungen als neokoloniale InstrumenteBild: picture-alliance/AP Photo/P. Dejong

Gesucht: Politischer Wille

Auch aus Sicht des simbabwischen Juristen Sternford Moyo liegt das Problem gar nicht beim AGMR selbst: "Das Problem ist vielmehr der fehlende Wille unter afrikanischen Staatsoberhäuptern, Strafverfolgung durchzusetzen und Straflosigkeit zu beenden", sagt Moyo, der früher zwei Richtervereinigungen in der Region vorsaß - der Law Society of Zimbabwe und der SADC Law Association.

Dass Gerichtshöfe bei afrikanischen Regierungen in Ungnade fallen, sobald sie aus deren Sicht unliebsame Fälle aufnehmen, ist indes kein Einzelfall: Neben dem AGMR hat vor allem der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) immer wieder damit zu kämpfen. Als die Den Haager Kammer vorläufige Untersuchungen in Burundi wegen möglicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf den Weg brachte, reichte das ostafrikanische Land kurzerhand seinen Austritt aus dem Gerichtshof ein. Auch andere Länder wie Kenia erwogen dies zwischenzeitlich. Der IStGH ist weltweit zuständig, jahrelang waren dort jedoch ausschließlich Verfahren zu Ereignissen in afrikanischen Staaten anhängig. Das wird in Afrika häufig bemängelt - diese Kritik will Moyo jedoch nicht zählen lassen: "Wir sollten doch eher feiern, anstatt uns zu beschweren, dass wir Aufmerksamkeit vom IStGH erhalten. Das bedeutet, dass die Ressourcen dieses Gerichts genutzt werden, um Straflosigkeit in unserer Region zu beenden."

Mitarbeit: Reliou Koubakin