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Gesellschaft

Erinnerung an die Russlanddeportation von Rumäniendeutschen

Aida Ivan
17. Februar 2020

Vor 75 Jahren deportierte die rumänische Regierung 70.000 arbeitsfähige Rumäniendeutsche auf Befehl des sowjetischen Führers Stalin in die UdSSR. Der Grund: Die angebliche Mitverantwortung für den Zweiten Weltkrieg.

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Gulag Perm 36 - ehemalige Sowejtunion
Bild: Imago/Hohlfeld

"Am Bahnhof mussten wir rein in einen Zugwaggon, so ein Viehwaggon, und in dem waren solche Bretter, wo man gelegen hat. Auf den Brettern war nichts, nur unsere Kleider hatten wir darauf gelegt." Diese Worte begleiten die Fotoausstellung "Order 7161. Zeitzeugenporträts einer Deportation" im Rumänischen Kulturinstitut (RKI) Berlin. Ungefähr 70.000 Deutsche aus Rumänien wurden Anfang 1945 in die UdSSR deportiert und mussten durch Zwangsarbeit den Wiederaufbau der Sowjetunion unterstützen. Zwischen 2012-2015 hat der Luxemburger Fotograf Marc Schroeder 40 Überlebende getroffen und fotografiert. Die Ausstellung ist ein aktuelles Stück visuellen Gedächtnisses eines in Deutschland wenig bekannten Kapitels der europäischen Nachkriegsgeschichte.

Deutschland Ausstellung "Order 7161. Zeitzeugenporträts einer Deportation" | Fotograf Marc Schroeder
Marc Schroeder hat bisher sein Fotoprojekt auch in verschiedenen rumänischen Städten präsentiertBild: DW/A. Ivan

Kollektives Gedächtnis

Januar 1945, vier Monate nachdem Rumänien das Bündnis mit Hitler gekündigt und sich auf die Seite der Alliierten gestellt hat. Die rumänische Regierung kommt der Forderung Stalins nach, Rumäniendeutsche in die UdSSR zu schicken. Ihnen wird von der sowjetischen Führung eine kollektive Mitschuld am Zweiten Weltkrieg und an den Verbrechen des Nationalsozialismus zugeschrieben. Betroffen sind arbeitsfähige Männer zwischen 17 und 45 Jahren und Frauen zwischen 18 und 30 Jahren. Die Deportation erfolgt nach einem von den rumänischen Behörden in enger Kooperation mit den sowjetischen Besatzern vorbereiteten Plan. Viele Menschen sterben wegen der schweren Arbeitsbedingungen, der extrem niedrigen Temperaturen und wegen Hungers. 1949 werden die Überlebenden freigelassen.

Landschafts-, Schwarz-Weiß-Aufnahmen und Porträts - die Schau in Berlin zeigt im 75. Gedenkjahr der Deportation eine Auswahl aus dem Dokumentationsprojekt des Fotografen. Sie umfasst außerdem auch Aussagen über die traumatischen Erfahrungen in sowjetischen Arbeitslagern. Die Bilder und Zeitzeugenberichte ergeben ein gemeinsames Erinnern an die Deportationen. "Die meisten haben mir vielleicht mehr erzählt als ihren eigenen Familien. Solche katastrophalen Ereignisse werden selten in der Familie besprochen, glaube ich. Es war das größte Leid, das Unheilbarste, das den Leuten widerfahren ist", sagt der Fotograf Schroeder. Motive wie die Festnahme, die Hinreise, das Heimweh und die Heimkehr stehen im Fokus. 

Deutschland Ausstellung "Order 7161. Zeitzeugenporträts einer Deportation" | Postkarte
Die Ausstellung "Order 7161. Zeitzeugenporträts einer Deportation" im RKI BerlinBild: DW/A. Ivan

"Meine Schwiegermutter hat gesagt, ich muss gehen, denn sonst nimmt man sie": Eines der Opfer der Deportation, deren Erinnerungen in der Ausstellung dokumentiert wurden, war schwanger, als sie verschleppt wurde. Im Lager sei ihr Baby gestorben und sie habe das Kind einer anderen Frau angenommen, weil die es nicht haben wollte. So habe sie mit einem Krankentransport zurück nach Rumänien fahren können, weil Mütter mit Säuglingen nach Hause geschickt wurden. Auf dem Weg sei aber auch das zweite Baby gestorben.

Transnationale Erinnerungskultur

Erschütternde Einzelschicksale, festgehalten in Bild und Text. Lager und Zwangsarbeit, Tod und immer wieder Hunger. „Wenn ich nichts zum Kochen hatte, schlängelte mir der Rauch durch den Mund. Ich zog die Zunge einwärts, kaute leer. Ich aß Speichel mit Abendrauch und dachte an Bratwurst", schreibt Nobelpreisträgerin Herta Müller in ihrem Roman "Atemschaukel", der auf Erfahrungen des Dichters Oskar Pastior basiert. Zu den Veranstaltungen, die die Berliner Ausstellung begleiten, zählt auch eine Lesung aus dem Roman über die Schrecken in stalinistischen Arbeitslagern.

Deutschland Ausstellung "Order 7161. Zeitzeugenporträts einer Deportation" | Postkarte
Postkarte aus einem sowjetischen ArbeitslagerBild: DW/A. Ivan

Die Deportation der Rumäniendeutschen stand lange Zeit nicht zur Diskussion. In der Bundesrepublik war die Verschleppung zwar bekannt, hatte aber selten die erforderliche Aufmerksamkeit im öffentlichen Diskurs geweckt. In Rumänien durfte man während der kommunistischen Diktatur nicht darüber reden. Erst mit dem Zerfall des Ceausescu-Regimes wurde es möglich, das Tabu zu brechen.

Die Erinnerungskultur hat sich im Laufe der Jahrzehnte gewandelt. Die Archive wurden geöffnet, Gedenkveranstaltungen zur Russlanddeportation werden heute in Bukarest und anderen rumänischen Städten regelmäßig organisiert. Zeitzeugen, Historiker, Journalisten, Künstler und Politiker wollen die Erinnerung wach halten und das breite Publikum über das Ausmaß der Folgen von Stalins "Order 7161" zu informieren. Laut rumänischen Medien sind 20 Prozent der Deportierten nicht mehr zurückgekommen. Berichten zufolge leben heute noch 180 Opfer der Deportation in Rumänien.