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Klimawandel fördert Gewalt gegen Frauen

21. Februar 2020

Vergewaltigung, häusliche Gewalt, Zwangsheirat - eine internationale Studie zeigt: Die Folgen des Klimawandel lassen Gewalt gegen Mädchen und Frauen steigen. Auch in Industrieländern wächst der Druck auf Frauen.

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Symbolbild | Klimawandel | Dürre | Kenia
Bild: picture-alliance/APA/H. Fohringer

Ntoya Sande ist 13 Jahre alt, als sie verheiratet wird - gegen ihren Willen. "Ich musste heiraten, weil meine Eltern unsere Familie nicht mehr ernähren konnten. Früher hatten wir ein kleines Stück Land aber die Überschwemmungen nahmen uns unsere ganze Ernte." Ntoya Sande lebt in der Provinz Nsanje in Malawi. Ihre Geschichte ist einer von tausenden Fällen, die die Weltnaturschutzunion IUCN (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources) für eine Studie herangezogen hat. Es ist die bisher größte und umfassendste Untersuchung über die Auswirkungen von Klimawandel und Umweltzerstörung auf geschlechtsspezifische Gewalt.

"Diese Studie zeigt, dass der Schaden, den die Menschheit der Natur zufügt, die Gewalt gegen Frauen auf der ganzen Welt anheizen kann", sagt Dr. Grethel Aguilar, amtierende Generaldirektorin der IUCN. Beide Themen - Umweltzerstörung und geschlechtsspezifische Gewalt - müssten gemeinsam angegangen und gestoppt werden, so das Fazit.

Kinderehen als "Überlebensstrategien" in Klimakrisen

Nicht nur in Malawi werden immer mehr Minderjährige gegen ihren Willen verheiratet, weil ihre Familien durch Klimakatastrophen in Not geraten. So wurden laut der Studie etwa in Äthiopien und dem Südsudan während extremer Dürren verstärkt Mädchen im Austausch gegen Vieh in die frühe Ehe verkauft.

Infografik Entwicklung der Wüstenbildung und Landdegradation DEU

In Krisensituationen steige die Rate von Kinder- und Zwangsverheiratungen nachweisbar, so Juliane Schmucker, Teamleiterin der Region Asien bei der Hilfsorganisation Plan International, im Interview mit der Deutschen Welle (DW). "Es ist einfach eine Überlebensstrategie von Familien, entweder sich der Tochter zu entledigen, um den Druck auf die eigene Familie zu entlasten, oder auch der einzige Ausweg zur Generierung von Einkommen."

Vergewaltigungen auf langen Wegen zum Wasser

Nicht nur akute Krisen wirken auf Frauen und Mädchen laut IUCN-Studie besonders nachteilig. Vor allem die zunehmende Ressourcenknappheit lässt das Risiko steigen, dass sie Opfer von Gewalt werden. So versiegen durch zunehmende Trockenheit und Wüstenbildung im globalen Süden immer mehr Wasserstellen und Brunnen. Wasserholen ist oft Frauensache, und wenn ihre Wege weiter werden,  häufen sich dabei sexuelle Übergriffe auf Frauen, besonders in Regionen, in denen bewaffnete Banden marodieren.

Frau beim Wasserholen in Äthiopien
Frau beim Wasserholen in Äthiopien: Die Wege zum Wasser werden immer weiterBild: Plan International

Dasselbe gelte für Wege, die Frauen zurücklegen, um Brennholz zu sammeln, sagt Dirk Bathe, Sprecher der internationalen Hilfsorganisation World Vision im DW-Interview. "Deswegen bauen wir Brunnen in den Dörfern selbst oder in Dorfnähe und versuchen durch Wiederaufforstung, wieder Bäume in der Nähe von Siedlungen wachsen zu lassen." Dabei greife man insbesondere auf die FMNR-Methode (Farmer Managed Natural Regeneration) zurück, für die bereits ein alternativer Nobelpreis vergeben wurde.

Beispiele für Wiederaufforstung nach der FMNR-Methode der Hilfsorganisation World Vision
Wiederbewaldung mit FMNR: ein Hügel in der Region Humbo in Äthiopien in den Jahren 2010, 2012 und 2016 Bild: World Vision

Neben praktischen Maßnahmen müssen sich vor allem die tradierten Geschlechterrollen ändern, fordern Hilfsorganisationen. "Sehr erfolgreich ist es, wenn religiöse Führer ihren Einfluss nutzen, um klar zu machen, dass Männer kein Recht haben, Frauen Gewalt anzutun", so Bathe. Ebenfalls wichtig sei, dass Mädchen und Frauen überhaupt wissen, an wen sie sich im Falle eines Übergriffs wenden könnten, und ermutigt werden, dies zu tun, betont Schmucker.

Lesen Sie mehr: Wie Frauen im Senegal ohne ihre Männer gegen Klimawandel kämpfen

Fisch gegen Sex

Auch an vielen Küsten und Seen Afrikas leiden Frauen besonders, seit der Fisch immer knapper wird. Denn die Fischer verlangen mittlerweile nicht nur Geld sondern zusätzlich Sex als Bezahlung. Im Westen Kenias ist diese Praxis laut IUCN-Studie so üblich, dass sie einen eigenen Namen trägt: das Jaboya-System.

World Vision versucht dieser Form der sexuellen Ausbeutung beispielsweise in der Region um den Viktoriasee entgegenzuwirken. Man habe Frauen ermöglicht selbst Fische in angelegten Teichen zu züchten, erzählt Bathe. "So können sie heute ihre eigenen Geschäfte aufziehen und Fisch verkaufen, ohne in Gewaltsituationen zu geraten."

Männer legen ein Netz über einen Fischteich neben einem Haus
Eigene Fischteiche helfen gegen sexuelle Ausbeutung von Frauen durch Fischer am ViktoriaseeBild: World Vision/Laura Reinhardt

Sowohl World Vision als auch Plan International bestätigen eine weitere Beobachtung der Studie: Überall wo Frauen für die Landwirtschaft zuständig sind, sinkt ihre gesellschaftliche wie familiäre Stellung, wenn infolge von Klimakrisen die Ernten schmaler werden oder ganz ausfallen. Und dadurch droht ihnen wiederum Gewalt, oft auch in den eigenen Familien.

Lesen Sie mehr: Doppelt benachteiligt - Frauen auf dem Land

"Die Diversifizierung ihrer Einkommensquellen ist das wichtigste Mittel, Frauen davor zu schützen", erläutert Teamleiterin Schmucker. Bathe ergänzt: "Wenn man Frauen bei der Anpassung an den klimatischen Wandel unterstützt, wenn sich ihre Einkommenssituation verbessert, dann profitieren alle - auch die Kinder und die Männer."

Rollenverteilung und Geschlechterbilder als Todesursache

Generell leiden Frauen und Mädchen überall dort besonders stark unter Extremwettersituationen und Naturkatastrophen, wo die Gesellschaft ihnen spezielle Verhaltensweisen vorschreibt und andere verbietet, wie etwa, sich alleine in der Öffentlichkeit zu bewegen. 

Während des Tsunamis 2004 starben in Thailand deutlich mehr Frauen als Männer, weil sie vielfach zu Hause auf die Kinder aufgepassten, während die Männer weiter im Inland Feldarbeit leisteten.

Auch in Bangladesch, so berichtet Gotelind Alber vom Klimanetzwerk GenderCC - Women for Climate Justice e.V., sterben in Folge von Überflutungen vor allem Frauen, weil sie nur selten in die Notunterkünften Zuflucht suchen. "Diese Shelter sind total eng und für eine Frau in Bangladesch schickt es sich nicht, dort Bauch an Bauch mit Männern zu stehen oder dieselbe Toilette zu benutzen. Deswegen verschanzen sich die meisten Frauen lieber in ihren Hütten und werden dann bei Überflutungen aber häufig einfach weggeschwemmt."

Eine Frau und ihr Kind vor ihrer überschwemmten Hütte in Bangladesch
Überflutung in Bangladesch: Für Frauen schickt es sich nicht, mit Männern in Notunterkünften Schutz zu suchenBild: picture-alliance/dpa/NurPhoto/S. Ramany

Doch auch Männer sterben durch tradierte Rollenbilder, erklärt Alber.  "In Australien begehen Männer häufiger Selbstmord als Frauen, wenn sie ihr Land oder ihren Job verlieren. Männer nehmen in Krisensituationen deutlich weniger Hilfe an als Frauen, was in erster Linie mit überlieferten Männlichkeitsbildern zusammenhängt."

Umweltkriminalität fördert sexuelle Gewalt

Auch Umweltkriminalität wie Wilderei und illegale Ressourcengewinnung bringen geschlechtsspezifische Gewalt hervor. Laut der Studie wird sexuelle Gewalt, etwa Vergewaltigungen, in diesem Zusammenhang gezielt gegen Umweltaktivistinnen eingesetzt, um ihren Status innerhalb der Gemeinschaft zu untergraben und andere Frauen davon abzuhalten, sich für den Erhalt der Umwelt - etwa gegen den Bau einer Mine oder eines Staudammes - einzusetzen.

Honduras Demonstration & Solidarität mit Berta Caceres, ermordete Aktivistin
Demonstration für die ermordete Umweltschützerin Berta Caceres in Honduras Bild: Getty Images/AFP/O. Sierra

Ähnliche Mechanismen wirken auch in Industrienationen, wenn Frauen, die sich für Umweltthemen einsetzen, in sozialen Medien Vergewaltigungen angedroht werden, um sie einzuschüchtern und mundtot zu machen.

Noch keine Klimagerechtigkeit in Deutschland

Immerhin: Seit  2012 ist das Thema "Gender und Klima" als fester Punkt auf den Tagesordnungen der UN-Klimakonferenzen verankert. Auf der jüngsten Konferenz in Madrid einigten sich die Staaten auf den zweiten Gender Action Plan (GAP). Sein Ziel: Frauen in allen Ebenen der Klimapolitik gleichberechtigt einzubinden - in Institutionen, aber auch in einzelnen Klimaschutzprojekten. Strukturelle Ungleichheiten aufgrund des Geschlechts sollen abgebaut werden.

UN-Klimakonferenz 2019 | Cop25 in Madrid, Spanien | Protestmarsch
Klimagerechtigkeit braucht Geschlechtergerechtigkeit - Demonstration von Frauen zu Cops25 in MadridBild: Reuters/S. Perez

Solche Ungleichheiten aber gibt es auch in westlichen Industrieländern, verdeutlicht Gotelind Alber am Klimaschutzgesetz in Deutschland: Eine höhere CO2-Bepreisung werde vor allem ärmere Menschen treffen. Zu ihnen zählten viele Rentnerinnen und Alleinerziehende, von denen die meisten immer noch Frauen seien. Solle der Klimaschutz in Deutschland geschlechtergerecht verlaufen, so Alber, müsse man für diese Frauen einen besseren Ausgleich schaffen als eine Erhöhung der Pendlerpauschale.

DW-Redakteurin Jeannette Cwienk
Jeannette Cwienk Autorin und Redakteurin mit Fokus auf Klima- und Umweltthemen