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Politik

Floyds Tod erinnert an Europas Rassismus

2. Juni 2020

Nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd durch Polizeigewalt in den USA ist es für Schwarze kein Trost, in Europa zu leben. Denn die Gewalt dort öffnet auch hier Wunden, meint Chiponda Chimbelu.

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Deutschland Protest nach dem Tod von George Floyd in Berlin
Portrait des getöteten George Floyd - ein Wandbild im Mauerpark in BerlinBild: picture-alliance/NurPhoto/O. Messinger

Der Tod von George Floyd war wahrscheinlich das erste Mal Anlass dafür, dass mehrere Freunde und Bekannte mir wegen einer rassistischen Gewalttat geschrieben haben. Einige teilten mir mit, wie sie sich fühlten, andere schrieben, dass sie für mich da seien. Eine Nachricht stach besonders heraus. "Bist Du glücklich, im Moment nicht in den USA zu leben?" fragte ein deutscher Freund auf WhatsApp. "Die jüngsten Ereignisse sind leider sehr traurig."

Ich brauchte fast einen ganzen Tag, bevor ich antworten konnte. Es ist keine Erleichterung für mich, dass ich in Deutschland lebe. Ich bin erschüttert und frustriert. Jahrelang sind schwarze Männer und Frauen getötet und ermordet worden, sogar von Polizisten, einfach weil sie schwarz sind. Georg Floyds Geschichte erinnert uns daran, dass rassistische Gewalt manchmal tödlich ist.

Kein Problem allein der USA

Die Proteste in US-amerikanischen Städten und jetzt auch in einigen europäischen Metropolen zeigen die Enttäuschung und die Verzweiflung, die Schwarze angesichts des institutionellen und strukturellen Rassismus fühlen. Wir sollten uns nicht täuschen und denken, dies wäre allein ein US-amerikanisches Problem. Rassismus gegen Schwarze ist in der westlichen Welt allgegenwärtig.

Chiponda Chimbelu DW Journalist
DW-Redakteur Chiponda ChimbeluBild: DW/U. Beck

In London gab es 2011 Proteste, als Polizisten Mark Duggan, einen schwarzen Briten, erschossen hatten. In Frankreich folgten 2005 Massenproteste und Ausschreitungen, nachdem die beiden Teenager Bouna Traoré und Zyed Benna durch einen Stromstoß starben, nachdem sie vor der Polizei in ein Transformatorenhäuschen flüchteten. Ein dritter Jugendlicher, Muhittin Altun, überlebte schwer verletzt. Im selben Jahr verbrannte Oury Jalloh aus Sierra Leone in Dessau im ostdeutschen Bundesland Sachsen-Anhalt in einer Polizeizelle, an eine Liege gefesselt.

Es mag für manche Europäer einfach sein, auf die Vorfälle in den USA zu schauen und zu behaupten, sowas passiere hier nicht - aber schwarze Europäer können sich diesen Luxus nicht leisten. Für sie ist Rassismus in Europa äußerst lebendig, ungeachtet der Tatsache, dass rassistische Polizeigewalt hier nicht so ungehemmt in den Medien auftaucht. Das ist ein Grund dafür, dass George Floyds Tod jenseits der USA so breite Proteste hervorgerufen hat: Die Geschehnisse dort öffnen hier Wunden.

Sklaverei und Kolonialismus bestimmen die Wahrnehmung

In der Wahrnehmung dessen, was es heißt, schwarz zu sein, unterscheiden sich westliche Gesellschaften nicht wesentlich. Ihre Vorstellungen werden überwiegend von zwei historischen Ereignissen bestimmt: Sklaverei und Kolonialismus.

In seinem Buch "Afropäisch - Eine Reise durch das schwarze Europa" schreibt der britische Autor Johny Pitts, der transatlantische Sklavenhandel habe eine wesentliche Rolle dabei gespielt, wie der Westen ethnische Gruppen wahrnimmt. Das durchdringe und stütze - wenn auch oft unbewusst - die Hierarchien in westlichen Zivilisationen weltweit.

UK Protest nach dem Tod von George Floyd in London
"Rassismus ist eine Pandemie" - Proteste in London nach dem Tod von George FloydBild: picture-alliance/AA/I. Tayfun Salci

Leider helfen die Darstellungen in den Medien und die Lehrpläne in den Schulen kaum, die Sicht auf ethnische Zugehörigkeiten zu verändern.

Die Nachricht meines Freundes, der fragte, ob ich glücklich sei, in Deutschland zu leben, war eindeutig ignorant gegenüber dem alltäglichen Rassismus in diesem Land. Der deutsche Nationale Aktionsplan gegen Rassismus bezeichnete schwarze Menschen 2017 als eine von fünf Personengruppen, die ein hohes Risiko tragen, Rassismus zu erleben. Das kam aber erst, nachdem der UN-Ausschuss gegen Rassendiskriminierung jahrelang Druck gemacht hatte, weil Berlin nicht entschieden genug gegen Diskriminierung kämpfte.

Kaum Bewusstsein für Rassismus in Europa

Deutschland ist nicht allein in Europa. Der Mangel an Achtsamkeit und öffentlichem Bewusstsein gegenüber Rassismus ist auf dem ganzen Kontinent frappierend. Und es ist schwer, ein klares Bild davon zu bekommen, wie rassistische Diskriminierung People of Color konkret beeinträchtigt, denn Daten dazu werden - außer in Großbritannien - nicht erhoben.

Angesichts der gegenwärtigen Proteste in den USA ist es weder die Zeit noch der Ort für Europäer zu behaupten, die Situation sei hier besser. Man muss sich nur Griechenland und seinen Umgang mit den Flüchtlingen anschauen. People of Color, vor allem Schwarze, leiden oft durch das Verhalten der Behörden und der Gesellschaft als Ganzes. Gerade erst hat das Europäische Netzwerk gegen Rassismus erklärt, dass ethnische Minderheiten während der Corona-Pandemie ganz besonders von Racial Profiling und Polizeigewalt betroffen sind.

Deutschland Hamburg | Demonstration gegen das N-Wort | Protest gegen Rassismus
Nicht nur der Tod von George Floyd empört - antirassistische Demo in Hamburg im Februar 2020Bild: Imago Images/J. Große

Der Tod von George Floyd erinnert einmal mehr an institutionellen und strukturellen Rassismus in Europa - das stellt Aminata Touré, aufsteigender Stern afrikanischer Herkunft am deutschen Politikerhimmel, in einem Kommentar für das Onlinemagazin "Bento"fest. "Man muss sich schon klar machen, wie vermessen eine Aussage wie 'Seid doch froh, hier zu sein. In den USA werden Schwarze erschossen, hier nicht!', ist."

Dass wir nichts über Tote lesen, heißt nicht, dass Rassismus in Europa kein Problem ist. Es gibt keinen Wettlauf nach unten, wenn es um Formen von Ungerechtigkeit geht. Unsere Solidarität können wir am besten zeigen, wenn wir George Floyd erwähnen und dann rassistische Ungerechtigkeiten diskutieren und wie sie das Leben von Menschen in unseren eigenen Gesellschaften belasten - so dass wir sie verhindern können.

Chiponda Chimbelu DW Journalist
Chiponda Chimbelu Wirtschaftsredakteur mit Fokus auf Afrika, Diversität und Inklusion@chipondac