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Politik

Minneapolis ist nicht Hongkong

2. Juni 2020

Chinas Staatsmedien nutzen die Proteste in den USA, um den Vereinigten Staaten Scheinheiligkeit vorzuwerfen. Das darf nicht über wichtige Unterschiede zwischen den USA und China hinwegtäuschen, meint Rodion Ebbighausen.

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USA Proteste und Polizeigewalt nach Mord an George Floyd
Demonstranten treten der Polizei auch in Washington gegenüberBild: Reuters/J. Ernst

Keine Frage, die Bilder aus den USA und Hongkong gleichen sich: Tausende gehen auf die Straße, Tränengas und Gummigeschosse fliegen, brennende Barrikaden lodern in der Nacht und Polizisten drücken Demonstranten mit Knien zu Boden.

US-Präsident Trump verwendet die gleiche Rhetorik wie Peking für Hongkong: Bei den Demonstranten handele es sich um "Schläger". Und wenn geplündert würde, dürfe geschossen werden. Er droht seinen Gouverneuren sogar mit dem wahrscheinlich illegalen Einsatz der Streitkräfte im Inland - womit auch Peking den Demonstranten in Hongkong mehrfach gedroht hatte.

Geschenk für Peking

Die chinesische Propaganda hat unter diesen Bedingungen leichtes Spiel, den USA Scheinheiligkeit und zweierlei Maß vorzuwerfen. Schließlich hätte die US-Regierung die Proteste in Hongkong befürwortet, nun aber verurteile sie vermeintlich gleichartige Proteste im eigenen Land.

Am 30. Mai twittert Hua Chunying, Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, George Floyds letzte Worte: "I can't breathe!". Sie zitierte dabei die Sprecherin des US-Außenministeriums, Morgan Ortegus, die sich kritisch zu Hongkong geäußert hatte. Der Tod des Afroamerikaners George Floyd war Auslöser für die aktuellen Proteste in den USA.

Hu Xijin, Chefredakteur der 'Global Times', einer englischsprachigen Tageszeitung und Sprachrohr der Kommunistischen Partei Chinas, verglich die Proteste in den USA mit denen in Hongkong auf Twitter: "Es gibt zwar unterschiedliche Gründe für die Unruhen, aber die Parallelen sind überwältigend: Sie alle missachten das Gesetz, untergraben die Ordnung und sind destruktiv; die Gewalt in Hongkong ist gerechtfertigt, aber die Gewalt in den USA ist ungerechtfertigt. Diese Art zu denken ist inakzeptabel."

Chinas Propaganda-Apparat wirft den USA aber nicht nur Doppelmoral vor, sondern lobt sich auch selbst, denn schließlich würde sich Peking anders als Washington nicht in die inneren Angelegenheiten der USA einmischen und die Proteste nicht befeuern.

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DW-Redakteur Rodion EbbighausenBild: DW

Gewaltenteilung und Pressefreiheit

Auch wenn Peking versucht die Unterschiede zu verwischen, sind diese doch entscheidend: Die vier Polizisten, die in die Tötung von George Floyd verwickelt waren, sind gefeuert worden. Gegen einen wurde bereits Anklage erhoben, gegen die anderen wird ermittelt. Die Exekutive in den USA muss ihr Handeln also vor einer prinzipiell unabhängigen Justiz verantworten. Ganz anders in Hongkong, wo die Polizei ebenfalls seit Monaten mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen Demonstranten vorgeht. Unermüdlich fordert die Demokratiebewegung eine unabhängige Untersuchung, aber Peking lässt das nicht zu.

Im Unterschied zu Hongkong wird in den USA landesweit und kritisch über die Proteste berichtet. Die Ansicht, es handle sich bei den Demonstranten um linke Aufwiegler, kommt ebenso vor wie die Überzeugung, dass sich die Demonstranten gegen Rassismus und für Gleichberechtigung einsetzen. Den freien Medien sei Dank. Auch die Medien in Festlandchina thematisieren die Proteste in Hongkong, aber nur eine gleichgeschaltete Perspektive ist bestimmend: Die Demonstranten aus Hongkong seien vom Ausland gesteuerte Terroristen.

Die Bilder sind gleich, aber der Unterschied ist, dass es in den USA eine unabhängige Presse und eine aktive Zivilgesellschaft gibt. In China verläuft der gesellschaftliche Riss horizontal: Es ist es die herrschende Klasse als verlängerter Arm der Kommunistischen Partei, die den Großteil seiner Bevölkerung unterdrückt. Das zeigten die Millionenproteste, die vor genau einem Jahr in Hongkong begannen. In den USA handelt es sich um eine Spaltung, die vertikal durch die ganze Gesellschaft verläuft. In den USA ringen die Menschen um ihre beschädigte Demokratie, China kennt demgegenüber nur den Zwangsfrieden der Diktatur.

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia