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FilmNahost

Neue Doku: Der Fotoschatz von Gaza

13. August 2020

Der Armenier Kegham Djeghalian hat im Gazastreifen zwischen Israel und Ägypten 40 Jahre lang fotografiert. Eine DW-Dokumentation erzählt seine Geschichte.

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Alte Abzüge und Negative - das Fotoarchiv von Kegham Djeghalian
Zeugen der Geschichte Gazas - das Fotoarchiv von Kegham DjeghalianBild: DW/T. Krämer

Collected Memories - Der Fotoschatz von Gaza

Sie sind in einfache Kisten und Tüten verpackt: Fotos und Negative aus den 1940er bis 1970er Jahren, die kleine Ausschnitte aus dem Leben im Gazastreifen jener Zeit zeigen. Die meisten stammen aus dem Nachlass des armenischen Fotografen Kegham Djeghalian, der in den 1940er Jahren eines der ersten Foto-Studios in Gaza-Stadt eröffnete. "Diese Negative und Abzüge sind mir sehr wichtig. Sie sind unser Erbe, unsere Kultur. Was wir in den Fotos sehen, ist das was übrigbleibt," sagt Marwan Tarazi, der diesen besonderen Schatz hütet. Seit er ihn gefunden hat, kümmert er sich um den Erhalt der Foto-Sammlung.

Vergessene Seiten des Gaza-Streifens

Die Schwarz-Weiß-Fotos zeigen ein wenig bekanntes Gesicht des Gazastreifens, der seit über einem Jahrzehnt von derislamistischen Hamas kontrolliert und von Israel und zum Teil auch Ägypten abgeriegelt wird. Auf einem Foto ist ein Bahnhof und eine Bahnlinie zwischen dem Gazastreifen und Ägypten zu sehen. Es gibt sie schon lange nicht mehr. Auf anderen sind kunstvoll ausgeleuchtete Studio-Portraits zu entdecken, aus einer Zeit, in der es noch keine Handy-Selfies gab und der Besuch beim Fotografen noch etwas Besonderes war.

Auch die politischen Ereignisse der Zeit sind festgehalten - die palästinensische Flüchtlingskrise nach der Gründung des Staates Israel 1948 und die ägyptische Militärbesatzung des Gazastreifens bis 1967. "Als der Krieg 1948 ausbrach, flohen viele Palästinenser nach Gaza. Kegham Djeghalians Familie hatte eine ähnliche Situation in Armenien erlebt", sagt Marwan Tarazi. Djeghalian habe Gaza als sein zweites Zuhause betrachtet und begonnen, alles um ihn herum zu fotografieren.

Flucht aus Armenien, neue Heimat Gaza

Verblichene Fotografie des armenischen Fotografen Kegham Djeghalian
Porträt des armenischen Fotografen Kegham Djeghalian Bild: Privat

Seine Mutter war mit ihm als Kleinkind vor dem armenischen Genozid nach 1915 zunächst nach Syrien geflüchtet. Nach dem Tod der Mutter kam er als Teenager zu Verwandten nach Jerusalem, das damals zum britischen Mandatsgebiet gehörte. Anfang der 1940er Jahre gelangte Djeghalian nach Gaza, um dort als Fotograf zu arbeiten. "Ich weiß nicht genau, was meinen Vater damals dazu bewogen hat, nach Gaza zu gehen", sagt seine Tochter Anahid Boutin, die in Gaza geboren wurde und heute in Frankreich lebt.

Armenier waren überall im Nahen Osten verstreut und suchten nach Arbeit. Aus der Zeit stammen viele bekannte armenische Fotografen, die das Leben in Jerusalem und anderen Orten in dieser Zeit dokumentierten. "Wahrscheinlich dachte mein Vater damals, dort könnte er am besten eine Arbeit finden." Fotografen gab es nur wenige zu dieser Zeit im Gazastreifen - zumindest existieren darüber nur wenige Zeugnisse. Später wuchs eine ganz neue Generation an jungen Palästinensern heran, die das Handwerk des Fotografierens erlernten. Marwans Bruder Morris Tarazi etwa lernte das Fotografieren bei Kegham Djeghalian in den 1960er Jahren. Später übernahm die Familie Tarazi das Geschäft: Aus "Photo-Kegham" wurde "Photo-Morris".

Visuelles Gedächtnis der Gesellschaft

Viele der traditionellen Fotostudios von damals - darunter auch Photo Morris - sind mittlerweile geschlossen. Dafür hat Gaza Generationen von Fotojournalisten hervorgebracht, die die bewegte Geschichte der letzten Jahrzehnte - von der ersten Intifada über die drei Kriege zwischen Hamas und Israel - dokumentiert haben. Shareef Sarhan etwa fotografiert seit langem den Konflikt, aber auch das alltägliche Leben in Gaza. "Ich will zeigen, das Gaza verschiedene Gesichter hat. Was die meisten von Gaza kennen, ist das Bild in den Medien: Krieg, Zerstörung, Blockade. Jenseits davon gibt es aber auch ein anderes Gaza." Momentan arbeitet er an einem Buch über traditionelle Berufe in Gaza, die nach und nach verschwinden - fast so wie damals Kegham Djeghalian, der dies in Portraitaufnahmen festhielt.

Der Fotograf Shareef Sarhan mit Kamera in Gaza-Stadt
Der Fotograf Shareef Sarhan in Gaza-StadtBild: DW/T. Krämer

Für Sarhan sind Fotos das visuelle Gedächtnis einer Gesellschaft. Nostalgie für die Vergangenheit sei dabei aber fehl am Platz. "Es gibt natürlich Leute, die mit alten Fotos nichts anfangen können. Andere wiederum suchen danach. Wie ich. Wir wollen wissen, wie das Leben unserer Großeltern ausgesehen hat", sagt Sarhan.

Schwierige Archivierung

In Gaza lagert ein Teil der visuellen Geschichte im Foto-Archiv des UN-Flüchtlingshilfswerk für Palästinenser, UNRWA. Die Fotos und Negative wurden in den letzten Jahren umfassend digitalisiert und zeigen die Geschichte der palästinensischen Flüchtlinge seit Beginn der 1950er Jahre. Auch Kegham Djeghalians jüngerer Bruder Hrant arbeitete damals als Fotograf für die Vereinten Nationen. In Ramallah, im besetzten Westjordanland, wiederum arbeiten kulturelle Institutionen an der Archivierung von Fotos aus Familienalben der letzten Jahrzehnte.

Marwan Tarazi hat inzwischen viele der Fotos selbst abfotografiert und digitalisiert. Die Aufbewahrung der Negative in Kisten und Tüten ist alles andere als ideal - viele sind noch nicht einmal entwickelt und ihr Zustand wird über die Jahre nicht besser. "Ich hoffe, dass sich die junge Generation dafür interessiert und einen Wert darin sieht", sagt Tarazi.

Fotos spiegeln Gazas Geschichte wider

Auch im fernen Frankreich hofft Djeghalians Tochter Anahid Boutin auf eine angemessene Konservierung der Fotos. Sie hat seit vielen Jahren den Gazastreifen wegen der strikten israelischen Einreisebestimmungen nicht mehr besuchen können. Doch hält sie weiter engen Kontakt zu ihren Freundinnen von damals. Die Fotos verbinden die verschiedenen Generationen an verschiedenen Orten: "Es wäre gut, diese Geschichte zu bewahren, die Geschichte zumindest, die wir kennen", sagt Boutin. "Diese Fotos spiegeln einen Teil der Geschichte Gazas wider, eine unruhige, bewegende Geschichte."

Die DW-Filmdokumentation "Collected memories - der Fotoschatz von Gaza" von Tania Krämer gibt es auch auf YouTube zu sehen.

Porträt einer Frau mit dunklen Haaren
Tania Krämer DW-Korrespondentin, Autorin, Reporterin