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PolitikGlobal

Amerikanische Firewall

Frank Sieren
12. August 2020

Facebook und Google in China zu verbieten, ist so kurzsichtig wie TikTok und WeChat aus den USA zu verbannen. So schadet jedes Land sich nur selbst. Aber wir brauchen klare Spielregeln für Europa, meint Frank Sieren.

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China Chengdu | US Konsulat
Das amerikanische Generalkonsulat in Chengdu wurde auf behördliche Anweisung am 24. Juli geschlossenBild: Getty Images/AFP/G. Chai Hin

Je näher die Präsidentschaftswahl rückt, umso mehr will Donald Trump seine Wähler mit Rundumschlägen gegen China beeindrucken. Mittlerweile kommen sie fast wöchentlich: Nach der Schließung des chinesischen Konsulats in Houston und der antichinesischen Brandrede von Außenminister Mike Pompeo hat Trump vergangene Woche zwei Verfügungen unterschrieben, die der chinesischen Tech-Industrie das Wasser abgraben sollen.

Die eine Verordnung richtet sich gegen TikTok, die erste global erfolgreiche Social-Media-Plattform aus China. Die App, die weltweit rund 800 Millionen und in den USA 80 Millionen aktive Nutzer zählt, hat demnach 45 Tage Zeit, einen amerikanischen Käufer zu finden. Andernfalls werden alle Transaktionen mit dem Unternehmen illegal und die App wäre de facto verboten. Ähnliches gilt für WeChat, wobei Trump hier nicht in erster Linie die App im Visier hat, die in den USA allenfalls von Auslandschinesen benutzt wird, sondern die Mutterfirma Tencent. Die ist mittlerweile nicht nur eines der wertvollsten Unternehmen in ganz Asien, sondern hält auch große Anteile an amerikanischen Firmen wie Tesla, Universal oder Snapchat.

Tencent - der weltweit operierende Tech-Gigant

Washington betrachtet schon länger mit Sorge, wie der milliardenschwere chinesische Tech-Gigant sich weltweit immer breiter aufstellt. In den nächsten fünf Jahren plant Tencent rund 70 Milliarden US-Dollar in Technologie-Infrastruktur zu investieren, dazu zählen Software-Anwendungen, Datenzentren, Server, Supercomputer, Investments in die 5G-Mobilfunkinfrastruktur, die Blockchain, Cloud Computing, Cybersecurity, das Internet der Dinge und Künstliche Intelligenz. Der Global Player aus Shenzhen hat mehr noch als Huawei das Zeug, neue Anwendungen zu erschaffen, die die technologische Vorherrschaft der USA nachhaltig bedrohen.

Tencent Interactive Entertainment
Das 1998 gegründete Internet-Unternehmen gilt inzwischen als eine der wertvollsten Firmen weltweitBild: picture-alliance/dpa

Tencent spielt auch eine Schlüsselrolle in Pekings Ziel, China zu einer der führenden Tech-Nationen des 21.Jahrhunderts zu machen. Dabei wäscht eine Hand die andere: Wie kaum ein Unternehmen hat Tencent davon profitiert, dass ausländische Tech-Unternehmen wie Facebook und Google früh vom chinesischen Markt ausgeschlossen wurden. Andersherum wird WeChat heute umfassend vom chinesischen Staat für Propaganda-Zwecke und für die digitale Überwachung der Bürger genutzt. Unter jungen Chinesen, besonders jenen aus Hongkong, nennt man die App ironisch "WeCheck".

Trump behauptet zwar noch immer, dass es bei seinen Verboten um die amerikanische Cyber-Sicherheit gehe. Aber es ist längst offensichtlich, dass seine Verbote nur die ersten heftigen Scharmützel eines IT-Krieges sind, mit dem die globalen Machtverhältnisse zwischen China und den USA ausgefochten werden. Es ist ein Krieg, bei dem es am Ende nur Verlierer geben wird. Ein Beispiel: Wenn die App-Stores von Apple WeChat nicht mehr anbieten können, wird auch der Absatz von iPhones in China einbrechen, denn ein Smartphone ohne WeChat wäre für einen chinesischen User schlicht unbrauchbar.

Gefährliche Transaktionsverbote

Apple hatte im zweiten Quartal 2020 zwar nur einen Marktanteil von neun Prozent in China, konnte seine Verkäufe im Jahresvergleich aber um 32 Prozent steigern. Damit sind die Amerikaner neben Huawei die einzigen in den Verkaufs-Top-Fünf, die ihre Verkäufe im Vorjahresvergleich steigern konnten. Mit Trumps Transaktionsverbot könnte sich der Marktanteil auf dem wichtigen chinesischen Markt weiter zugunsten heimischer Anbieter verschieben. Und Huawei ist seit Anfang des Jahres sowieso schon der größte Mobiltelefonanbieter der Welt - vor Samsung und Apple. Hinzukommt, dass so gut wie alle amerikanischen Unternehmen, von Walmart bis CocaCola auf WeChat angewiesen sind, um ihre Produkte in China zu bewerben und zu verkaufen. Auch dem könnte schnell ein Riegel vorgeschoben werden.

Frank Sieren *PROVISORISCH*
DW-Kolumnist Frank SierenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Solch eine Schwächung amerikanischer Unternehmen ist nur eine von vielen Folgen, die Trump in seiner Kurzsichtigkeit nicht voraussehen will. Es ist ja kein Zufall, dass TikTok weltweit auf 175 Märkten aktiv und in 65 Sprachen erhältlich ist. Die App prägt mit ihrem 15-sekündigen Mikro-Entertainment derzeit wie keine andere den Zeitgeist.

Erfolglose Nachahmer

Nachahmer haben die Chinesen viele. Derzeit versucht etwa Instagram mit Reels eine Kurzvideo-Funktion zu etablieren, die klar bei TikTok abgeschaut ist. Einen Hehl macht die zu Facebook gehörende Plattform dabei nicht: TikTok habe "sehr beeindruckende Arbeit geleistet, um das Format nach vorne zu bringen", sagt Instagram-Produktchef Vishal Shah, dessen Unternehmen längst auch Geld in die Hand nimmt, um TikTok-Influencer abzuwerben. Eins ist jedoch klar: Ohne die kreative Community, die Reichweite und den Algorithmus, der nicht nur alte Nutzer bei der Stange hält, sondern auch neue begeistert, bleibt jeder TikTok-Konkurrent eine lahme Ente. Ein von Facebook ins Rennen geschickter Konkurrent namens Lasso wurde mangels Interesse bereits eingestellt.

USA | US-Präsident Donald Trump will App Tiktok verbieten
TikTok, sagen die USA, gebe Nutzerdaten an den chinesischen Geheimdienst. Machen Facebook & Co. aber auchBild: picture-alliance/NurPhoto/J. Porzycki

Weil die Amerikaner kaum zeitnah einen ebenso erfolgreichen Ersatz anbieten können, peilt Trump ja auch zuerst den Verkauf von TikTok an ein amerikanisches Unternehmen an. Er weiß, dass ein Komplettverbot von TikTok der US-Wirtschaft, aber auch ihm selbst am Ende nur schadet. Die TikTok-Fans hätte er als Wähler schon mal verloren. Denn TikTok wird im Rest der Welt weiter florieren, die jungen Amerikaner werden sich jedoch abgehängt fühlen.

Gute Technologie bahnt sich immer einen Weg

TikTok ist für viele junge Menschen längst Teil der eigenen Identität. Die lässt man sich nicht so einfach rauben. Möglicherweise fangen die jungen Amerikaner bald sogar an, VPN-Tunnelprogramme zu benutzen, um TikTok weiter mit Videos zu füllen. Ihre Altersgenossen in China machen das schon lange, um auf verbotene Plattformen wie Instagram, Facebook oder Google zuzugreifen. Denn mit der stark zensierten, chinesischen Suchmaschine Baidu allein wäre die chinesische Innovation ein gutes Stück langsamer. Gute Technologie bahnt sich immer einen Weg.

Und klar ist auch: Wenn der Tiktok-Besitzer Bytedance dazu gezwungen wird, an ein amerikanisches Unternehmen zu verkaufen, wird sich Peking Vergeltungsmaßnahmen für ein amerikanisches Unternehmen in China ausdenken. Dieses Spiel führt zu nichts.

Klare Spielregeln für alle

Besser ist es, sich klare Spielregeln für alle auszudenken. Wir sollten das mit TikTok und WeChat ebenso tun, wie mit Google und Facebook. Denn dass Nutzerdaten von Facebook auch bei amerikanischen Geheimdiensten gelandet sind, lässt sich im Gegensatz zum Fall von TikTok und Huawei nicht mehr leugnen.

Der Westen kann dem Rest der Welt nicht mehr vorschreiben, welche Spielregeln zu gelten haben, auch wenn Trump sich das sehnlichst wünscht. Aber wir können in Europa Spielregeln für globale Technologien durchsetzen, die unseren Vorstellungen von Datenschutz entsprechen und gleichzeitig den Wettbewerb nicht unterbinden. Und womöglich können unsere Vorstellungen von Datenschutz dann im globalen Wettbewerb für das ein oder andere Land sehr attraktiv sein.

Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über 20 Jahren in Peking.