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Steckt Corona die Banken an?

Thomas Kohlmann
7. August 2020

Nach dem historischen Konjunktureinbruch im Frühjahr wird eine Insolvenzwelle ab Herbst erwartet und damit erhebliche Kreditausfälle für deutsche Geldhäuser. Experten streiten darüber, wie dramatisch die Folgen sind.

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Bild: Reuters/K. Pfaffenbach

Niemand glaubt ernsthaft, dass die Corona-Pandemie spurlos am deutschen Bankensektor vorübergehen wird. Doch wie groß sind die Folgen der erwarteten Ausfälle bei Unternehmenskrediten und könnte dadurch eine neue Bankenkrise ausgelöst werden? 

Anfang Juli hatte das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) eine Studie mit einer düsteren Prognose veröffentlicht. Selbst wenn Deutschland die Corona-Rezession glimpflich übersteht, könnten die Folgen das Aus für dutzende Banken bundesweit bedeuten. 

Denn wenn tausende kriselnde oder insolvente Firmen ihre Kredite nicht mehr zurückzahlen können, so der Tenor der Studie, könnten die Kreditausfälle Deutschlands Banken so schwer belasten, dass sie selbst in ihrer Existenz bedroht sind. Im optimistischen Szenario der Hallenser Forscher, bei dem sich die deutsche Wirtschaft rasch erholt, wären immerhin 6 Prozent und damit dutzende deutsche Geldhäuser gefährdet. Komme es aber zu einer länger anhaltenden Wirtschaftskrise, könnten bis zu 28 Prozent und damit hunderte Banken in ernste Schwierigkeiten geraten.

Insgesamt gehe es im optimistischen Szenario um Kredite im Wert von 127 Milliarden Euro, im pessimistischen Szenario um 624 Milliarden Euro. Besonders gefährdet seien Sparkassen und Genossenschaftsbanken als klassische Kreditgeber kleiner und mittelständischer Firmen, die durch die Coronakrise in ihrer Existenz bedroht sind. 

Für Michael Ermrich grenzt die Studie an Panikmache. In einem Zeitungsinterview beklagte der Präsident des Ostdeutschen Sparkassenverbandes (OSV), das Forschungsinstitut IWH versuche zum wiederholten Mal, die Lage der Sparkassen und Genossenschaftsbanken schlechtzureden. 

MADE in Germany - Zulieferer
Folgen von Elektromobilität und Corona: Viele deutsche Automobilzulieferer kämpfen um ihre ExistenzBild: DW

In Baden-Württemberg, wo besonders viele Unternehmen aus der Automobilbranche unter der Krise leiden, warnten die 51 Sparkassen dagegen Ende Juli vor einem dramatischen Gewinneinbruch. "Am Ende wird sich der verfügbare Gewinn zwar mehr als halbieren, aber immer noch positiv sein", versuchte der baden-württembergische Sparkassenpräsident Peter Schneider Optimismus zu verbreiten. 2019 hatten die Sparkassen in Baden-Württemberg noch ein Jahresergebnis von 988 Millionen Euro eingefahren. Doch wegen der erhöhten Vorsorge für drohende Kreditausfälle müssen die Sparkassen im Südwesten Deutschlands ihre Kreditrisikovorsorge gegenüber 2019 auf 382 Millionen Euro verdreifachen und rechnen auch für 2021 mit einer erhöhten Risikovorsorge. 

Alarmierende Zahlen vom DIHK

Wie viele Unternehmen tatsächlich unter Druck stehen, machte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) Ende Juli deutlich: 40 Prozent der Unternehmen klagten gegenüber dem DIHK über Liquiditätsengpässe und hätten Schwierigkeiten, ihre Rechnungen zu bezahlen, jedes zehnte Unternehmen sehe sich von der Pleite bedroht. Weil die Bundesregierung die Unternehmen bis zum Herbst von der Pflicht befreit hat, bei Zahlungsunfähigkeit Insolvenz anzumelden, blicken Wirtschaftsverbände und  die Bankenbranche gebannt auf die kommenden Monate. "Wir befürchten im Herbst eine Insolvenzwelle dramatischen Ausmaßes”, warnt DIHK-Chef Eric Schweitzer. 

Bis Ende 2021 könnten mehr als 20.000 Unternehmen in Deutschland Pleite gehen, lautet die düstere Prognose des Kreditversicherers Euler Hermes. Was heißt das für die Sparkassen und Banken, die von den Kreditausfällen insolventer Firmen betroffen sind? Wann wird es für sie kritisch? 

Düsseldorf | Innenstadt: "Wir Schliessen" Schriftzug  am Schaufenster eines Geschäftes
Bild: picture-alliance/dpa/M. Gerten

Insolvenzwelle mit Verzögerungseffekt

"Die Vorhersage eines exakten Zeitpunkts ist sehr schwierig, weil es eine Vielzahl an Unwägbarkeiten gibt”, sagt Michael Koetter im Interview mit der DW. "So zum Beispiel, ob es eine zweite Infektionswelle gibt, wie stark diese ausfiele und ob sie weitere Lockdowns nach sich zöge”, gibt der Leiter der Abteilung Finanzmärkte an Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) zu bedenken. "Grundsätzlich werden Insolvenzen aus meiner Sicht zunehmen, insbesondere dann, wenn die kürzlich gelockerten Regeln zur Meldung von Insolvenzen wieder rückgängig gemacht würden.”

Die Folgen der Insolvenzen würden bei den Banken aber erst mit einer Verzögerung zu Kreditabschreibungen führen, so Koetter, der Mitautor der brisanten IWH-Studie ist. "Denn insbesondere kleinere Kreditinstitute haben einen nicht unerheblichen Ermessensspielraum, ab wann ein Kredit als notleidend zu führen und dementsprechend abzuschreiben ist.” Koetter rechnet damit, dass eine Insolvenzwelle erst mit einer Verzögerung von ein bis zwei Quartalen bei den betroffenen Geldhäusern sichtbar wird. 

Die Forscher aus Halle sind nicht die einzigen, die vor einer neuen Bankenkrise warnen. Die Analysten der Boston Consulting Group (BCG) erwarten, dass das Unternehmenskundengeschäft deutscher Finanzinstitute zunehmend unter Druck gerät. "Ich würde eine Bankenkrise nicht ausschließen”, sagte BCG-Banken-Experte Holger Sachse bei der Vorstellung einer aktuellen Analyse im Juli. Alles hänge vom weiteren Verlauf der Corona-Pandemie ab, gab Sachse zu bedenken.

Italien Venedig | Coronavirus | Tourismus
Geschlossene Bar in Venedig im Juni 2020Bild: DW/M. Strauß

Banken europaweit betroffen

Europaweit ist die Lage ebenfalls angespannt. Eine aktuelle Untersuchung der Unternehmensberatung Oliver Wyman zeigt, welche Summen auf dem Spiel stehen. Durch die Coronakrise müssen europäische Banken in den kommenden Jahren demnach mit Kreditverlusten von mehr als 400 Milliarden Euro rechnen. Komme es in Europa zu einem zweiten Lockdown, könnten sich diese Verluste auf 800 Milliarden Euro verdoppeln. 

Das Ratingunternehmen Moody's erwartet, dass der wirtschaftliche Abschwung durch die Pandemie zu einer spürbaren Verschlechterung der Kreditqualität bei Europas Banken führen wird. Der Prozentsatz der Problemkredite bei den meisten europäischen Banken könnte sich bis 2022 verdoppeln bis verdreifachen, so die Moody's-Analyse. 

Auch wenn die Dimensionen der Krise und die Summen wackeliger Kredite gigantisch erscheinen - die erwarteten Kreditausfälle werden das europäische Bankensystem nicht zusammenbrechen lassen, lautet trotzdem die tröstende Botschaft der Wyman-Analysten.

"Es ist unwahrscheinlich, dass die Pandemie den europäischen Bankensektor lähmen wird", sagt Christian Edelmann, stellvertretender Leiter für Finanzdienstleistungen in Europa bei Oliver Wyman. Denn im Unterschied zur Bankenkrise vor zehn Jahren habe die EZB heute ausreichend Liquidität in den Markt gepumpt.

"Viele Banken werden aber in  einen 'Schwebezustand' mit sehr schwachen Erträgen gedrängt werden", so Edelmann. Branchen-Experten sind sich deshalb darüber einig, dass sich der durch die Digitalisierung ausgelöste Marktbereinigungsprozess nicht nur in Deutschland weiter beschleunigt - mit immer weniger Bank-Filialen und auch weniger kleinen regionalen Banken.