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US-College-Football wird zum Politikum

Heiko Oldörp
14. August 2020

College-Football ist in vielen Gegenden der USA wie eine Religion. Diesen Herbst wird es wegen Corona in zwei großen Ligen aber keine Saison geben. Das erzürnt Donald Trump. Dabei trägt der US-Präsident eine Mitschuld.

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USA NCAA College Football
Bild: picture-alliance/AP/G. Herbert

Die Entscheidung war noch nicht gefallen, aber die Gerüchte ließen nichts Gutes erahnen. Also ging Donald Trump, wie so oft, in die Offensive. "Play College Football", forderte der US-Präsident zu Wochenbeginn auf Twitter. Da war gerade durchgesickert, dass mit der "Big Ten" eine von Amerikas bedeutendsten College-Ligen ihre Football-Saison wegen der Corona-Pandemie absagen oder verschieben könnte.

Als aus dem Gerücht am Dienstag dann Realität wurde und mit der "Pac-12" eine weitere der großen fünf College-Ligen es der "Big Ten" gleichtat, meldete sich Trump umgehend wieder zu Wort. Der Football mache einen "tragischen Fehler", meinte er in einem Interview bei Fox Sports Radio. Footballspieler seien "sehr junge, starke Menschen", argumentierte Trump, "körperlich in außergewöhnlicher Form." Und eben deshalb würden sie "kein Problem" mit dem Virus haben. Niemand werde sterben, betonte der 74-Jährige.

Trumps Corona-Aussagen wie Russisches Roulette

Nun wirken die Corona-Prognosen des Präsidenten oft wie eine Art Russisches Roulette und sind nicht sehr vertrauenswürdig. Entgegen seiner ständigen Beteuerungen haben die USA die Pandemie bis heute nicht unter Kontrolle. Und genauso wenig ist, nachdem im April die Temperaturen anstiegen, COVID-19 "verschwunden", wie Trump es prophezeit hatte. Im Gegenteil: Die USA sind mit mehr als fünf Millionen Fällen und fast 170.000 Toten auch Mitte August noch der globale Corona-Hotspot.

Angesichts dieser Fakten begrüßt Zachary Binney die Entscheidungen der College-Ligen. "Aufgrund der Situation in diesem Land war es richtig, die Saison nicht zu spielen. Wir haben sehr viel Virus und wir haben COVID-19 nicht unter Kontrolle", sagt der 33-jährige Epidemiologe vom Oxford-College der Emory University in Atlanta im Gespräch mit der Deutschen Welle. Sein Spezialgebiet sind Sportverletzungen und die Gesundheit der Athleten. Die "New York Times" hat Binney's Meinung eingeholt, als es um die mögliche Fortsetzung der US-Sportligen ging, die "Washington Post" und das "Wall Street Journal" ebenso.

"Haben College-Football nicht verdient"

Binney sieht sich derzeit als "jemand mit zwei sich duellierenden Köpfen." Zum einen sei er Wissenschaftler, zum anderen aber auch leidenschaftlicher Sportfan. Vor allem aber ist er Realist. "Es gibt viele Gründe, College-Football spielen zu wollen. Aber so, wie wir auf das Virus reagiert haben, haben wir es uns nicht verdient." Amerikas Reaktion auf den Ausbruch der Pandemie sei "glanzlos" gewesen, so Binney.

Ein klarer Seitenhieb Richtung Trump. Nachdem der und auch Vizepräsident Mike Pence sich in den vergangenen Tagen zu den College-Ligen geäußert haben, sei es "ziemlich unmöglich, dieses Thema nicht zu politisieren", so Binney.

Trump weiß genau, dass College-Football vor allem in den eher konservativen Südstaaten, wo ein Großteil seiner Wähler zu Hause sind, wie eine Religion ist. Jedes Spiel kommt einem Volksfest gleich, die Stadien werden zu Pilgerstätten und Epizentren der Emotionen.

"Football ist das Lebensblut unseres Bundesstaates. Er bringt alles in Schwung", meint Ed Orgeron. Er ist Trainer der LSU Tigers - das ist das Football-Team der Louisiana State University. Als LSU im Januar das College-Finale gegen die Clemson Tigers aus South Carolina 42:25 gewann, sahen im Schnitt 25,6 Millionen Menschen zu. Zum Vergleich: seit 2002 betrug der Höchstwert einer NBA-Finalserie 20,4 Millionen Zuschauer (2017).

Sprungbrett zur Profi-Karriere

Im Gegensatz zu Deutschland nimmt Sport an den Universitäten in den USA eine essentielle Rolle ein. Aus der ganzen Welt bemühen sich junge Frauen und Männer um prestigeträchtige Sportstipendien an US-Colleges. Sie sind für Nachwuchsathleten das Sprungbrett in die Eliteligen. Der Football ist da keine Ausnahme. Wer sonntags auf der NFL-Bühne stehen möchte, muss zunächst einmal samstags auf den College-Plätzen zeigen, was er kann.

USA NCAA College Football
Riesenevent: Zu den Spielen der Michigan Wolverines kommen regelmäßig mehr als 100.000 ZuschauerBild: picture-alliance/AP/T. Ding

Laut "USA Today" nehmen die fünf großen College-Football-Ligen "Big Ten", "Big 12", "Pac-12", "Atlantic Coast Conference (ACC)" und "Southeastern Conference (SEC)", vor allem durch TV-Gelder und Ticketverkauf pro Geschäftsjahr zusammen 4,1 Milliarden Dollar ein. Somit entfallen auf die mehr als 50 Universitäten dieser Ligen im Schnitt 78 Millionen Dollar. Und durch dieses Geld sind andere Sportarten wie Schwimmen, Fechten oder Feldhockey erst finanzierbar - die mitunter Weltmeister und Olympiasieger hervorbringen. 80 Prozent des US-Olympiateams von Rio 2016 waren College-Athletinnen- und Athleten.

"Wie viele Tote sind tolerierbar?"

Scott Frost, Trainer der Nebraska Cornhuskers aus der "Big Ten" schätzt, dass seine Uni "80 bis 120 Millionen Dollar Verlust" machen werde. "Wenn wir keinen Football spielen, werden wir nicht in der Lage sein, für irgendetwas zu bezahlen - und zwar so lange, bis wir wieder Geld einnehmen", so Frost. Was Frost nicht erwähnt: Er verdient fünf Millionen Dollar im Jahr, die Spieler hingegen bekommen keinen Cent. Auch das ist College-Sport in den USA.

Nach den Entscheidungen der "Big Ten" und "Pac-12" müssen die drei andren Top-Ligen überlegen, was sie machen. Dabei gelte es, so schrieb die "USA Today" folgende Frage zu beantworten: "Wie viele Erkrankungen, Krankenhaus-Aufhalte und Sterbefälle wollen sie akzeptieren, um ihren geliebten Football im Herbst spielen zu können? Gibt es eine Zahl, die ihr tolerieren würdet?"

Donald Trump und Ivana
Gegen jede Vernunft: US-Präsident Trump will seine Wähler gerne mit College-Football "versorgen" Bild: picture-alliance/dpa/J. Rojas

Eine der Ligen spielt unter anderem in Florida und Georgia, zwei Bundesstaaten, die Trump bei der US-Präsidentschaftswahl am 3. November unbedingt gewinnen muss, um im Amt zu bleiben. Auch Ohio und Michigan, wo die "Big Ten" nun verschoben wurde, sind so genannte Swing States, in denen die Wahl entschieden werden könnte. Hier wird es nun keinen College-Football geben, weil der Präsident ein engagiertes und entschlossenes Vorgehen gegen COVID-19 gemieden hat wie eine Wurzelbehandlung. "Wenn College-Football ausfällt, dann weißt du, dass Coronavirus eine ernste Angelegenheit ist", sagte der bekannte Comedian Trevor Noah am Mittwoch in seiner "Daily Show". "Ich bin durch Amerika gereist - und die Leute würden alles tun für College-Football."

Binney: "Gipfel der Arroganz"

Und was ist mit der Profiliga NFL? Die 32 Teams befinden sich seit knapp zwei Wochen in der Vorbereitung. Die Saison soll am 10. September beginnen. Allerdings wurden wegen der Pandemie bereits alle Testspiele abgesagt. Und ob Meister Kansas City Chiefs in vier Wochen tatsächlich gegen die Houston Texans die neue Spielzeit eröffnet? Er wisse es nicht, meint Zachary Binney. Der Epidemiologe sieht die NFL in den Fußstapfen der Major League Baseball (MLB) - und somit auf einem gefährlichen Weg. Denn die MLB isoliert ihre Teams nicht, sondern lässt sie reisen und trägt Spiele in ganz Amerika aus. Nicht ohne Konsequenzen: Mit den Miami Marlins und den St. Louis Cardinals gab es bei zwei Teams Corona-Ausbrüche.

Noch gefährlicher werde es, so Binney, sollten Zuschauer zugelassen werden. Bislang haben erst fünf NFL-Teams bekanntgegeben, ihre Heimspiele ohne Fans auszutragen. Trump hingegen bevorzugt volle Arenen. "Wenn Alabama gegen LSU spielt, will ich nicht 20.000 Fans im Stadion sehen, mit sieben leeren Sitzen zwischen den Menschen. Ich will 110.000 Fans - wie in der Vergangenheit", sagte er in einem Interview mit dem TV-Sender ABC Anfang Mai.

Zachary Binney schüttelt bei solchen Worten nur den Kopf: "Es ist der Gipfel der Arroganz und ein Mangel an Sorgfaltspflicht, jetzt Zuschauer in den Stadien zu fordern."